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Rechtsprechungsübersicht: Wenn Schriftsätze vertretungsweise durch das beA flitzen

Immer wieder kommt es zu Problemen beim Umgang mit Signaturen im elektronischen Rechtsverkehr. Die jüngere Rechtsprechung zeigt dies recht deutlich. Hier reiht sich nun das Bundessozialgericht ein (Beschl. v. 18.01.2023, Az. B 2 U 74/22 B). Soll ein bereits signierter Schriftsatz an das Gericht kurzfristig von Anwaltskollegen übernommen werden, sind die Unterschriften zu ändern. Dass dies auch geschieht, müssen die Juristen selbst nachhalten. Und wer vertretungsweise unterschreibt, sollte aufpassen, dass er sich durch Textzusätze nicht widerspricht.

 

Ein Jurist unter Zeitdruck: Das Personal soll einen fertigen Schriftsatz ändern

In einer Arbeitsunfallsache hatte das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen. Der Prozessbevollmächtigte bereitete daher eine Nichtzulassungsbeschwerde vor und fügte eine eingescannte Unterschrift ein. Allerdings wollte er die Angelegenheit dann aber wegen Zeitmangel von einer Anwaltskollegin in der Kanzlei erledigen lassen. In der Kanzlei war eine Angestellte für beide Juristen zuständig. Diese wurde vom Anwalt angewiesen, die Unterschrift abzuändern und anschließend die Anwaltskollegin zu bitten, den geänderten Schriftsatz über ihr eigenes elektronisches Postfach zu versenden. Versehentlich unterblieb dies jedoch und der Schriftsatz gelangte unverändert zwecks Versands in das elektronische Postfach der Anwältin.

Nachträgliche Korrekturen von Schriftsätzen sind grundsätzlich nicht außergewöhnlich, solche Aufgaben dürfen auch von Kanzleiangestellten erledigt werden. Allerdings gilt bei Korrekturen von Rechtsmittelschriften bzw. -begründungen, dass diese erneut zur Kontrolle vorgelegt werden (BGH, Beschl. v. 22.09.2015, Az. XI ZB 8/15). Ein Anwalt muss stets die finale Fassung noch einmal zu Gesicht bekommen. Dies geschah im vorliegenden Fall allerdings nicht mehr, da sich der Anwalt aufgrund Zeitdrucks ausgeklinkt hatte.

 

Die Anwaltskollegin ist am Zug: Und damit in der Pflicht, genau hinzuschauen

Die Anwältin verließ sich von vorneherein auf die abgeänderte Unterschrift und sendete den Schriftsatz ungeprüft über ihr eigenes beA an das Bundessozialgericht (BSG). Daher fehlte es an der zwingenden Personenidentität. Einfach signierte Schriftsätze sind jedoch nur über das elektronische Postfach des signierenden Anwalts zu versenden. Aufgrund des Formmangels ging die Beschwerdeschrift daher nicht fristgerecht ein. Als letzte Möglichkeit blieb nun noch der Versuch, die Beschwerde mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung zu retten.

 

Das Wichtigste wartet am Ende: Der Signaturen-Check. Hier bleibt das Personal außen vor

Neu ist es eigentlich nicht: Zu den Tätigkeiten, die ein Anwalt nicht an sein Personal delegieren darf, gehört die Prüfung von elektronischen Dokumenten und Signaturen, wenn es um Rechtsmittel- bzw. Begründungsschriften geht (BGH, Beschl. v. 08.03.2022, Az. VI ZB 78/21). Stichwort „eigenverantwortlich“. Das gilt übrigens nicht nur für Unterschriften bzw. elektronische Signaturen, sondern auch, wenn Kanzleimitarbeitern in einem schon freigegebenen Schriftsatz noch Fehler auffallen, die sie rasch selbst in Ordnung bringen. Kommt im Kanzleialltag nicht selten vor. Dann muss der (überarbeitete) Schriftsatz – einschließlich Anlagen – obligatorisch zurück auf den Anwaltsschreibtisch (BGH, Beschl. v. 22.9.15, Az. XI ZB 8/15). Insoweit hatte die Anwältin schuldhaft gehandelt, indem sie die Rechtsmittelschrift ungeprüft durch die Datenleitung schickte. Die Nichtzulassungsbeschwerde wies das BSG daher zurück (Beschl. v. 18.01.2023, Az. B 2 U 74/22 B). Dies allerdings schon deshalb, da die Beschwerde inhaltliche Mängel aufwies. Im Schriftsatz war der allein behauptete Verfahrensmangel nicht korrekt bezeichnet worden, wie es § 160a Abs. 2 S. 3 SGG vorsieht. Abgesehen von der versäumten Frist war die Beschwerde schon allein deshalb unzulässig.

 

Zwei Anwälte, ein Fehler? In Sachen Verschuldensfrage

Das fehlerhafte Handeln der Kanzleimitarbeiterin fiel nicht ins Gewicht. Sicher keine Mini-Panne, allerdings gilt spätestens dann, wenn Schriftsätze über das eigene beA verschickt werden, die Pflicht der höchstpersönlichen Prüfung der Signatur durch den versendenden Anwalt. Kein anderer darf da seine Finger im Spiel haben, auch nicht die qualifizierten Fachgeister. Zwar wurde im Antrag auf Wiedereinsetzung vorgetragen, dass die vertretende Anwältin irrtümlich gehandelt habe. Wie es aber dazu kommen konnte, dass sie die Signatur nicht checkte, erklärte sie nicht. Wo nichts vorgetragen wird, kann ein Gericht sich aber auch keine Meinung bilden, wem ein Fehler zuzurechnen ist.

Hätte der mandatsführende Anwalt hier möglicherweise argumentieren können, dass er sich auf korrekt arbeitende Kollegen verlassen darf? Schließlich kennen diese als Volljuristen die strengen Berufspflichten ebenso gut wie er. Wäre also eine erfolgreiche Wiedereinsetzung denkbar gewesen?

Wir haben bei Dr. Johannes Fiala, Rechtsanwalt in München, der sich intensiv mit der Anwaltshaftung beschäftigt, nachgefragt und folgende Antwort erhalten: „Beim Anwalt gibt es ja im Prinzip keine leichte Fahrlässigkeit. Wenn man die strenge Haftungsrechtsprechung im Detail studiert, könnte ich mir eher vorstellen, dass ein Richter in einem Fall wie diesem sagt, dass es dahinstehen kann, ob in der Kanzlei nun Anwalt A oder B oder beide den Fehler gemacht haben. Zum einen ist nicht ausgeschlossen, dass der Anwalt der Kanzleimitarbeiterin eine mangelhafte Arbeitsanweisung erteilt hatte, denn kontrolliert hat ja später niemand, ob die Signatur tatsächlich geändert wurde. Dem schließt sich dann der Fehler der Anwältin an, die nicht auf den rechtlichen Rahmen bzw. darauf geachtet hat, die Signatur zu prüfen.“ Klar zu differenzieren sei hier die Art des fehlerhaften Ablaufs. „Es lag hier also kein technisches Versehen, ein Vertippen oder ein Bedienfehler vor, sondern ein klarer Entscheidungsfehler. Ich denke daher, dass das Gericht hier eine Wiedereinsetzung abgelehnt hätte, wenn es über den Antrag noch hätte entscheiden müssen“, so Fiala.

 

Der eine schreibt nicht, der andere distanziert sich. Schriftsätze mit toxischen Zusätzen

Grundsätzlich genügt Gerichten die anwaltliche Unterschrift. Richter gehen davon aus, dass der Anwalt den Schriftsatz selbst durchgearbeitet hat und verantwortet. Das gilt aber nicht, wenn sich zusammen mit der Unterschrift plötzlich Zusätze oder Kommentare am Ende des Schriftsatzes tummeln. Besser kann man Zweifel bei Gericht kaum säen. Unterschreibt ein Anwalt beispielsweise zusätzlich mit dem Text „Unterzeichnend für den vom Kollegen verfassten und verantworteten Schriftsatz als Kammervertreter“, dann macht er deutlich, dass er jegliche inhaltliche Verantwortung ablehnt (BGH, Beschl. v. 06.12.2022, Az. VIII ZA 12/22). Somit bleibt am Ende kein Anwalt übrig, der hinter dem Prozessvortrag steht: Der verfassende Anwalt hat gar nicht unterzeichnet, die Vertretung wiederum hat zwar unterschrieben, sich aber gleichzeitig inhaltlich distanziert. Am Ende kommt dies dann einer komplett fehlenden Unterschrift gleich: Dann spukt das Schreckgespenst Formmangel den Kanzleiflur entlang mit der Folge, dass das Rechtsmittel unwirksam ist (§§ 130 Nr. 6, 520 Abs. 5 ZPO).

 

Hinweis

Anwälte haben häufig nicht auf dem Schirm, dass Gesetz und Rechtsprechung klare Grenzen ziehen, was die Kontrolle von Arbeitsabläufen durch Kanzleimitarbeiter angeht. Zwar gehört zu den Standardformeln in gerichtlichen Entscheidungen, dass es darauf ankommt, ob Kanzleimitarbeiter „qualifiziert“ oder „genau eingewiesen“ sind und ihre Arbeit „stichprobenartig kontrolliert“ wird. Das nützt aber alles nichts, wenn die übertragenen Aufgaben von vornherein nicht delegierbar sind. Dies gilt unter anderem bei besonders schwierigen oder seltenen Fristen oder eben „höchstpersönlichen“ Kontrollpflichten, die sich aus Gesetz oder Rechtsprechung ergeben. Rechtsanwalt Johannes Fiala empfiehlt Anwälten daher nicht nur, die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zu beobachten, sondern diese auch jeweils in Arbeitsanweisungen der Kanzlei einzuarbeiten, wenn aus einer Gerichtsentscheidung neue Vorgaben für die Kanzleiorganisation abzuleiten sind.

 

 

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